Die Finanzbranche bewegt sich durch ihre verspätete Digitalisierung. Technologie-getriebene Startups – Fintechs – sind an verschiedenen Stellen der Wertschöpfungskette zugange, um Prozesse aus der Kundenperspektive digital zu optimieren und darauf basierende digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die großen Web-Vier Google, Apple, Amazon und Facebook experimentieren ebenfalls mit Finanzservices, haben bzw. beantragen Banklizenzen.
Die Digitalisierung der Finanzbranche hat sich verspätet und verläuft zudem anders als in anderen Branchen, vor allem aus einem Grund: Regulierung. Finance Startups lassen sich nicht mal eben so von einigen technisch versierten Nerds mit guten Ideen nach den Bauanleitungen aus „Lean Startup“ und „Business Model Generation“ von Alex Osterwald unter dem Arm gründen.
Die Regulierung macht aus Banken mehr als einfache Unternehmen. Sie sind Institutionen, die sich nicht einfach wegdigitalisieren lassen, wie der stationäre Handel durch den E-Commerce oder traditionelle Medien durch Content-Websites.
In nahezu allen Zahlungs-, Anlage- und Kreditprozessen bleibt eine Bank an irgendeiner Stelle notwendig. Für Fintechs bedeutet dies: Entweder arbeiten sie mit einer Bank zusammen oder sie werden selbst zu einer Bank. Letzteres ist aufgrund der hohen Hürden, die für eine Banklizenz zu nehmen sind, für Startups kaum möglich (auch wenn es dafür inzwischen Beispiele in Deutschland gibt). Den großen Web-Vier und anderen großen Playern wie Paypal steht dieser Weg allerdings offen. Sowohl Google als auch Facebook haben bereits europäische Banklizenzen oder stehen kurz davor, sie zu erhalten.
(Insofern war Bill Gates Statement „We need banking, but no banks“ zu kurz gegriffen. Vielleicht ist die umgekehrte Aussage sogar näher an der Realität: „We need banks, but no banking“ im Sinne von eine Geschäftsbeziehung mit einer Bank unterhalten.)
Bankenstrategien
Aus dem Druck der Fintechs auf die Banken-Geschäftsmodelle einerseits und dem Kooperationszwang für die Fintechs andererseits ergeben sich für Banken vier „Normstrategien“, um bei der Finanz-Digitalisierung nicht das gleiche Schicksal wie (Zeitungs-) Verlage, Musik-Labels oder Buchhandelsketten zu erleiden:
– Sie entwickeln sich zu Backends für Fintechs (Backend-Option)
– Sie investieren in Fintechs (Investing-Option)
– Sie entwickeln eigene Fintech-Angebote (Build-Option)
– Sie arbeiten mit Fintechs als Dienstleister zusammen (Integration-Option)
Die Grenzen zwischen den Strategieoptionen sind in der Realität nicht trennscharf. Zudem lassen sie sich zum Teil auch parallel verfolgen. Aber jede hat eigene Vor- und Nachteile und erfordert spezifische „mentale“, organisatorische und technische Voraussetzungen.
Banken als Fintech-Backend: Von der IT-Plattform zur Banken-API
Die Bank als Fintech-Backend bietet Next-Finance-Startups alle Banklizenz-notwendigen Prozesse und Systeme an, die sie für die Umsetzung ihres Geschäftsmodells benötigen: Kundenkonten, Depotverwaltungen, die Abwicklung von Zahlungsprozessen, die Kundenidentifizierung etc.
Die Beziehungen zwischen Startup und Bank können dabei unterschiedlicher Natur sein: von kooperativen Modellen, bei denen beide Partner ins unternehmerische Risiko gehen und etwa über Revenue-Sharing vom künftigen Markterfolg profitieren, bis zu reinen Dienstleister-Kunden-Geschäftsbeziehungen.
Um die Backend-Option zu verfolgen, benötigen Banken schnelle und kurze Entscheidungswege, gekoppelt mit einer agilen Organisation. Gründer haben weder Zeit noch Lust, sich durch Hierarchie-Ebenen zu kämpfen, bevor mit der Umsetzung ihres Anliegens begonnen wird. Die IT muss flexibel und offen sein, um verschiedene Geschäftsmodelle schnell abbilden und Fintech-Systeme einfach anbinden zu können.
Mit der Backend-Option können Banken Fintechs frühzeitig an sich binden und im Idealfall ein ganzes Fintech-Ecosystem schaffen, das kontinuierlich neue Kunden liefert. In der höchsten Ausbaustufe wird die Bank zur API, an der sich Fintechs einfach ankoppeln können.
Nachteil dieser Strategie: Die Bank verliert den Erstkontakt zum Kunden, wird je nach Geschäftsmodell vollständig unsichtbar. Banking wird so eine reine Hintergrund-Aktivität.
Die Backend-Option empfiehlt sich deshalb vor allem für Banken, die bereits mit Finanzvertrieben und Vermittlern zusammenarbeiten; die Hintergrundrolle also schon geübt haben. Fintechs sind in diesem Kontext neue digitale Vertriebe, die ihre Angebote allerdings eher vom Kunden als von der Provision her denken.
Die Sutor Bank hat die Backend-Option bereits weitgehend umgesetzt. Von ihrer Startup-Plattform aus sind eine Reihe von Fintechs in den Markt gestartet, weitere stehen kurz vor dem Markteintritt.
Banken als Fintech-Investoren: Wagniskapital, Inkubatoren, Akquisitionen
Die Investing-Option umfasst reine Finanzierungen in den verschiedenen Phasen eines Fintechs (Seed-Finanzierung, A-, B-.C-, Usw-Serien), Inkubatoren-Ansätze, bei denen Fintechs auch praktische Unterstützung beim Unternehmensaufbau erhalten, und vollständige Akquisitionen.
Für die Investing-Option müssen Banken frühzeitig überdenken, welche strategischen Ziele sie mit dem Investment verbinden (vorausgesetzt, sie zielen nicht wie VCs auf Exit-Gewinne). Als strategische Investoren müssen sie prüfen, ob das Fintech-Geschäftsmodell zur eigenen Ausrichtung passt. Denn ein Investment macht nur dann Sinn, wenn das Fintech langfristig als Tochter oder wesentliche Beteiligung integriert wird und die Bank bei allen Folgefinanzierungen mitzieht. Für viele Exit-orientierte Wagniskapitalgeber wird ein Fintech darüber hinaus weniger interessant, wenn ein strategischer Investor wie eine Bank mit ihm im Boot ist. Für die Bank heißt dies, dass es schwierig werden kann, Mitinvestoren zu finden; für das Fintech umgekehrt, dass es auf Banken als Investor angewiesen bleibt.
Investieren Banken über einen Inkubator in einer frühen Phase, muss der strategische Fit nicht ganz so eng sein. Inkubatoren können auch als Innovationswerkstätten geführt werden, um nicht nur nachrichtlich, sondern auch in der Praxis auf dem Fintech-Laufenden zu bleiben. Laufen die strategischen Richtungen später auseinander, hat man voneinander gelernt und kann, nur durch kleine Beteiligungen lose aneinander gekoppelt, getrennte Wege gehen.
Bei vollständigen Akquisitionen eines Fintechs durch eine Bank versteht sich der strategische Fit von selbst. Die Herausforderungen liegen hier eher darin, die Integration so zu managen, dass die alleinstellenden Wettbewerbsvorteile des Startups – niedrige Kosten, Schnelligkeit, Innovationskraft – nicht verloren gehen.
Voraussetzung für diese Option ist natürlich eine entsprechende Kapitalausstattung; für größere Banken eher kein Problem, für kleine und mittelständische Banken schon.
Die Vorteile der Investoren-Option liegen in der Möglichkeit, über Fintechs die Digitalisierung der Branche aktiv mitzugestalten. Fintechs können früh mit kleinen Investments gebunden werden, um sich ein externes Innovationsportfolio zuzulegen. Bei größeren Investments kann abgewartet werden, ob ein Fintech den Market-Product-Fit erreicht, um ihm dann mithilfe von Investitionen zu einem schnellen Wachstum zu verhelfen.
Nachteilig bleibt, dass die Innovationen zunächst außerhalb, nicht innerhalb der Bank stattfinden (glaubt man dem „Innovator’s Dilemma“, ist dies allerdings kein Nachteil, sondern der einzige Innovationsweg). Später müssen die innovativen Einheiten dann mehr oder weniger aufwändig integriert werden – ein Risiko, das ebenso groß sein kann wie das Markt-Risiko, das man sich durch einen späten Fintech-Einstieg erspart hat.
Investoren-Strategien verfolgt in Deutschland z. B. die Commerzbank mit ihrem Maincubator und einem flankierenden Wagniskapitalfonds. Als Fintech-Akquisitor hat sich etwa die spanische BBVA profiliert. Im bisher größten europäischen Deal erwarb sie im März 2014 das US-Banken-Startup Simple.
Banken als Fintech-Builder – Entwicklung eigener Fintech-Geschäftsmodelle
Hinter den Fintech-Geschäftsmodellen steckt in der Regel keine proprietäre Raketentechnik. Zumeist basieren sie auf der Konzentration auf einzelne Glieder der Wertschöpfungskette, die mit herkömmlicher Technologie, etwa mit aktuellen mobilen Endgeräten, im Kundensinne optimiert werden. Nur selten bilden neue intelligente Verfahren oder innovative Techniken den disruptiven Kern eines Next-Finance-Startups. Ausnahmen stellen hier Algorithmen-basierte Fintechs dar, die etwa über semantische Social-Media-Anlaysen Börsenbewegungen prognostizieren oder alternative Kreditscorings errechnen.
Interne Gründe, die Banken daran hindern, eigene Fintech-Geschäftsmodelle zu entwickeln, liegen in der Trägheit der Organisation, der auf Verlässlichkeit und Risikovermeidung konditionierten Mitarbeiterschaft sowie einer veralteten, nur langsam anpassbaren IT. Überwinden Banken diese Hindernisse, könnten sie in vielen Bereichen die besseren Fintechs werden. Sie haben (trotz allem) das Vertrauen der Kunden, beherrschen die Regulierung aus dem Effeff und besitzen die notwendigen Backend-Systeme.
Ein weiterer Grund, die Banken vom Fintech-Bauen fern halten, ist die Selbst-Kannibalisierungsangst. Fintechs sind in der Regel dann erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, mit ihren Geschäftsmodellen die Geschäftsmodelle der Banken zu zerstören, weil sie zu geringeren Kosten einen besseren Service bieten. Wollen Banken also mit eigenen Fintechs erfolgreich sein, müssen sie den Mut haben, ihre bestehenden Geschäftsmodelle genauso zu zerstören, wie es Startups von außen versuchen würden.
Die Vorteile und Nachteile des Build-Ansatzes gehen bereits aus der oben beschriebenen Lage hervor: Dem Vorteil, mit Fintech-ähnlichen Angeboten das eigene Angebot kundenzentriert auszubauen, steht eine hohe Scheiter-Wahrscheinlichkeit entgegen. Es fehlt das geeignete Startup-Mindset und damit auch die notwendige Schnelligkeit und Flexibilität, um ein neues Geschäftsmodell schnell und kompromisslos nach vorne zu treiben.
Die Consors Bank fährt in Deutschland sehr konsequent den Fintech-Build-Ansatz. Mit einem einfachen mobilen Girokonto und automatisierten Beratungstools versucht sie gegen Startups wie Number26 (Girokonto) oder Vaamo (automatisierte Anlageberatung) zu gewinnen. Die Deutsche Bank hat für ihre Asset-Management- und Vermögenserwaltungssparte kürzlich einen Fintech-Killer angekündigt, der den Robo-Advice-Sektor aufrollen möchte.
Banken als Fintech-Integrator: Innovationen mieten statt entwickeln oder kaufen
Eine ganze Reihe von Fintechs gehen als Business-to-Business-Anbieter (B2B) an den Start, die gezielt Banken und Finanzdienstleister ansprechen (oft, nachdem sie gemerkt haben, dass sie im Geschäft mit Endkunden nicht das notwendige Wachstum hinbekommen haben). Mit ihrer Hilfe lassen sich einzelne Prozesse digitalisieren und algorithmisieren, ohne dass Banken selbst große Projekte starten oder hohe Investitionen in unsichere Geschäftsmodelle investieren müsen. Genauso innovativ wie die angebotenen Services sind die kommerziellen und technischen Geschäftsbeziehungen zwischen Fintech-Dienstleister und Bank: Es wird kaum mehr etwas gekauft, Software zum Beispiel, sondern gemietet, nach Gebrauch abgerechnet oder abonniert. Ob es um Software, um Algorithmen oder um Services geht: Integriert wird über APIs, die die Anbieter den Banken zur Verfügung stellen.
Technische Voraussetzung für die Integration-Option ist eine offene IT, in die sich die Fintech-Systeme einklinken können, die Akzeptanz von neuen Formen der IT-Bereitstellung wie Software-as-a-Service- bzw. Cloud-Modelle und eine ebenso offene Organisationsstruktur, die darauf trainiert ist, mit externen Mitarbeitern umzugehen.
Dem Vorteil, für einzelne Prozesse jeweils die beste Digitalisierungslösung einsetzen zu können, steht der Nachteil gegenüber, dass die Prozesslandschaft mit der Zeit heterogen wird. Organisatorisch und technisch kann dies die Komplexität schnell in die Höhe schießen lassen. Zumal Systeme und Fintechs im Zweifelsfalle mehr oder weniger auf regulatorische Konformität geprüft werden müssen, wenn sie Teil der Kernprozesse werden.
Die Digitalisierung und Fintechs als ihre unternehmerischen Träger zwingen die Banken zur Reaktion, wenn sie nicht von sich aus aktiv geworden sind. Ihre besondere Stellung im Wirtschaftssystem schützt sie heute noch vor dem Schicksal, das viele vordigitale Unternehmen in anderen Branchen erfahren mussten. Aber dies wird nicht ewig so bleiben. Vor allem die großen Webunternehmen Google, Facebook, Amazon und Apple können schneller in die Finanzwelt einbrechen, als wir heute denken. Sie haben die Finanzkraft, die Kundenbasis und die Kundenkenntnisse dafür. Durch die hier beschriebenen Fintech-Optionen können Banken selbst die Digitalisierung ihrer Branche gestalten und von Getriebenen zu Treibern werden.