Kritischer Tech-Optimismus auf der SXSW – Die großen Diskussionslinien auf der bedeutendsten Digital-Konferenz

Die großen Fragen der digitalen Welt werden im Ballon Room D und in den Nebenforen Ballon Room EFD sowie Room 18 ABC verhandelt. Es sind die größten Konferenzsäle des Convention Centers in Austin, in denen während der South by Southwest (SXSW) die relevanten Denker und Lenker dieser digitalen Welt im Anderthalbstunden-Takt ihre Sicht der Dinge erläutern. Viele weitere Fragen zu Themen wie Startups, Marketing & Branding, Medien & Journalismus, Code & Programming etc. werden bis ins Detail in unzähligen weiteren Räumen diskutiert, die sich über ganz Austin Downtown verteilen (ganz zu schweigen von den Film- und Musikthemen, denen jeweils ein komplett eigener Teil der SXSW gewidmet ist).

Die Welt wird besser, aber ….

Aber zurück zu den großen Fragen digitalen Welt aus dem Ballon Room D und den größeren Nebenforen:

Die globale Stimmungslage der Diskussion könnte man als kritisch-optimistisch beschreiben. Nachdem die lange als bedingungslos Tech-optimistisch geltende SXSW im letzten Jahr nach der Trump-Wahl und dem Brexit-Votum erschrocken innegehalten und sich gefragt hatte, ob das mit der Digitalisierung alles in die richtige Richtung geht, wurde dieses Jahr wieder eindeutig konstatiert: Ja, die Welt wird immer besser, das lässt sich eindeutig belegen, nicht nur, aber auch durch Technologie im Allgemeinen und Digitalisierung im Besonderen. Trotzdem gibt es Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Das Besserwerden der Welt ist kein Selbstläufer.

Protagonisten dieser kritisch-optimistischen Weltsicht waren Harvard-Philosoph Steven Pinker, Web-Guru und -Verleger Tim O’Reilly oder der KI-Pionier Ray Kurzweil. Für Steven Pinker ist es wissenschaftlich klar belegbar, dass die Welt sich seit der 1. industriellen Revolution zum Teil exponentiell verbessert. Er belegte dies mit zahlenmächtigen Slides: wachsender Reichtum, sinkende Armut, höhere Lebenserwartung, weniger Kriege, zurückgehende Gewalt etc. Allerdings komme dieser Optimierungstrend in den Medien nicht vor, werde von Populisten negiert und als Niedergang uminterpretiert. Dabei übersieht Pinker nicht, dass gravierende Probleme bleiben; vor allem die Klimaerwärmung und die wachsende Ungleichheit in den entwickelten Ländern, die zum Aufstieg der Populisten führe. Um die Welt weiter zu verbessern, die aktuellen und künftigen Probleme zu lösen und den Populismus zu besiegen, empfiehlt er dringend, sich an den Idealen der Aufklärung zu orientieren: Vernunft, Wissenschaft, Humanität und Fortschritt.

Sehr ähnlich analysierte Tim O’Reilly die Welt. Sein Garant für den weiteren Fortschritt: Technologie – aber nur dann, wenn sie richtig eingesetzt wird. KI etwa führe in den Unternehmen, in denen sie jetzt schon eingesetzt werde, zu mehr und besser bezahlten Mitarbeitern, nicht zu einer Reduzierung der Workforce. Aber ebenso wahr sei natürlich, dass durch Plattformen wie Uber Menschen, in diesem Fall Taxi-Fahrer, ihre Jobs verlieren. Und es sei an uns, die technische Zukunft so zu gestalten, dass sie Weltverbesserungspotenzial entfalten kann, ohne dass sich zum Beispiel weitere Plattform-ökonomische Monopole wie die GAFAs oder Uber oder AirBnb bilden (GAFA = Google, Amazon, Facebook, Apple).

Ray Kurzweil gehört schon seit den 90er-Jahren zu den radikalen Techno-Optimisten. Wurden seine KI-Thesen damals noch als technische Hybris angesehen, konnte er auf der SXSW-2018-Bühne lässig konstatieren, dass der technische Fortschritt gerade dabei ist, ihn zu überholen. Seine zwei großen Prophezeiungen, dass 2029 ein Computer den Turing-Test bestehen werde und 2045 Mensch und Maschine zu einer transhumanen Singularität verschmelzen (und dass auf dem Weg dorthin die meisten Probleme der Welt gelöst werden), hält er natürlich aufrecht; die erste zieht er sogar auf 2025 vor.

Rednern wie Melinda Gates, Sadiq Khan (Bürgermeister von London), Ex-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders oder dem Journalisten und Schriftsteller Ta-Nehisi Coates (unter anderem hat er das Drehbuch zu Black Panther geschrieben) blieb es vorbehalten, eher die zu lösenden Probleme in den Focus zu nehmen: Mehr Gleichberechtigung zwischen Geschlechtern und Rassen, mehr gelebte Diversität, gleichere Verteilung von Reichtum, Einschränkung der Macht der Plattformen und natürlich die alles überwölbende Klimaerwärmung.

Technologietrends: Blockchain und KI

Die zwei großen Technologietrends auf der SXSW waren Blockchain und KI. In vielen verschiedenen Session-Formaten wurden die Themen von höchster strategischer Warte genauso betrachtet wie in den Tiefen der technischen Details, etwa auf Treffen, auf denen sich Blockchain-Entwickler über Programmiersprachen und Software-Architekturen austauschten. Es gehört zu den großen Stärken der SXSW, dass sie einerseits den großen digitalen Überblick verschafft, es andererseits erlaubt, digitale Trends bis ins Detail und aus verschiedenen (Anwendungs-) Perspektiven zu betrachten.

Blockchain, das Internet der Werte

Während die zukunftsprägende Kraft der KI bereits in den Mainstream-Diskussionen angekommen ist, blieb die Blockchain-Technologie bisher ein Nischenthema, das in der breiten Öffentlichkeit bislang nur durch die rasante Wertentwicklung des Bitcoin angekommen ist. Die Blockchain ist die technische Basis für diese anderen Cryptocurrencies. Viele Experten glauben, und die SXSW war ein starkes Indiz für diese These, dass die Blockchain die Welt ähnlich stark verändern wird wie das Internet dies seit den später 90ern getan hat. Die Blockchain erlaubt vereinfacht gesagt den beglaubigten (!) Transfer von Wert, seien dies digitale Währungen, Rechte an Filmen oder Musikstücken, Unternehmensanteilen, Immobilien etc., ohne dass es eine Institution gibt, die diesen Transfer beglaubigt. Die unverfälsch- und unveränderbare Beglaubigung übernimmt die Technik, wieder verkürzt gesagt, unendlich viele, weltweit verteilte Computer, die die Transaktion bezeugen. Die Blockchain wird deshalb auch als Internet der Werte bezeichnet.

KI – potenziell weltverbessernd

Die KI-Diskussion ist schon weiter fortgeschritten. Auf der SXSW gab es kaum einen Zweifel, dass sich die Welt schneller als gedacht verändern wird. Umso stärker wurde analysiert, wie schnell sie sich in welche Richtung entwickelt und welche Gefahren und Risiken dabei für die Gesellschaft als Ganzes und den Einzelnen entstehen. Auch hier wurden wieder SXSW-typisch die Auswirkungen auf jeden (digitalen) Lebensbereich verhandelt: nicht nur auf die bereits auf den ersten Blick KI-relevanten Felder wie selbstfahrende Fahrzeuge, Robotik oder kommunikative Computer, sondern auch auf fernere Gebiete wie Film, Musik oder Mode.

Auch Privates wurde diskutiert

Übrigens ist nicht so, dass auf der SXSW nur über Gesellschaft, Wirtschaft und Politik diskutiert wird. Ebenfalls im zentralen Ball Room D ging es um Themen wie Liebe, Partnerschaft und Erotik im digitalen Zeitalter, und das nicht nur einmal, sondern mehrmals, und die Schlangen vor den Saaltüren waren genauso episch lang wie bei den „harten“ Themen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert