Plattform-Ökonomie als Chance für Banken

Spotify, Uber, Airbnb: Plattformen sind DIE Geschäftsmodelle der digitalen Welt. Branche um Branche wird vom Trend hin zur Plattform-Ökonomie verändert bis revolutioniert. Auch in der Finanzindustrie lassen sich Plattform-Entwicklungen beobachten. Zwei Plattform-Arten haben sich dabei herauskristallisiert. Banken können sich in der Plattform-Ökonomie neue Kundengruppen erschließen.

Die Indikatoren sind offensichtlich: Die an der Marktkapitalisierung gemessen erfolgreichsten Unternehmen sind heute Plattform-Unternehmen. Die GAFAs – Google, Apple, Facebook und Amazon – sind entweder reine Plattformen oder arbeiten in wichtigen Teilen als Plattformen. Von etablierten Unternehmen werden Plattformen in der Regel als Bedrohung angesehen. Denn in den Branchen, in denen sie sich festsetzen, schieben sie sich zwischen den Kunden und die Produzenten, die ursprünglich einen direkten Zugang zu den Kunden hatten. Sie machen konkurrierende Angebote vergleichbar und erhöhen so den Druck auf Preise und Margen. Zudem setzen sie Erwartungsstandards, die alle etwas mit Produktvielfalt und Auswahlmöglichkeiten zu tun haben, insbesondere mit „Ein-Klick-Einfachheit“ über alle Prozessschritte hinweg – Bestellen, Zahlen, Liefern, Zurückgeben – daran muss sich heutzutage jedes Unternehmen messen lassen.

Für Unternehmen können Plattformen aber nicht nur Bedrohung, sondern auch Chance sein, sich ganz neue Kundenzugänge zu verschaffen – entweder indem man Plattformen als Produzent gezielt nutzt, um Zielgruppen zu erreichen, die bislang außerhalb der eigenen Reichweite lagen oder indem man selbst zur Plattform wird. Um selbst als Plattform erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen jedoch zunächst das Henne-Ei-Problem lösen. Das heißt, sie benötigen entweder auf der Produzenten- oder auf der Konsumentenseite so viele Teilnehmer, dass die Plattform für die jeweils andere Seite attraktiv wird. Ist die Henne-Ei-Hürde genommen, kann es zu einem exponentiellen Kundenwachstum kommen, wenn der Netzwerkeffekt einsetzt. Das führt allerdings auch dazu, dass Plattform-Märkte Winner-takes-it-all-Märkte sind: In der Regel gibt es in jeder Branche maximal nur zwei Plattformen, die langfristig überleben können.

 Zwei Plattform-Arten

Wenn wir heute von digitalen Plattformen reden, meinen wir in der Regel entweder „As-a-Service“-Plattformen oder zwei- bzw. mehrseitige Plattformen. As-a-Service-Plattformen bieten Prozesse als Services an, für die bislang Maschinen, Hard- oder Software gekauft, installiert und/oder implementiert werden mussten. Fast jede Software lässt sich heute As-a-Service beziehen. Viele Sharing-Angebote für physische Güter, etwa Elektroroller, Fahrräder oder Autos, lassen sich ebenfalls als As-a-Service-Plattformen beschreiben. Sie lösen Kauftransaktionen durch Pay-per-Use-Geschäftsmodelle ab. Allen As-a-Service-Plattformen ist gemeinsam, dass auf der Produzenten-Seite ein einzelnes Unternehmen sitzt, während auf der Konsumenten-Seite viele Kunden die Services nutzen.

Zwei- oder mehrseitige Plattformen verbinden in ihrer Grundform Produzenten und Konsumenten, ohne selbst zu produzieren oder die Produktionsmittel zu halten. Sie bündeln verschiedene Interaktionen für unterschiedliche Nutzergruppen. Facebook etwa ermöglicht als Social-Media-Plattform einerseits die Interaktionen zwischen den Nutzern, andererseits verbindet sie werbende Unternehmen mit diesen Nutzern. In der physischen Welt gibt es ebenfalls mehrseitige Plattformen, etwa AirBnB bei Unterkünften oder Uber bei Fahrdiensten. Die Plattform selbst stellt die Funktionen zur Verfügung, damit ihre Nutzer Transaktionen untereinander ausführen können – dazu gehören etwa Matching- bzw. Such-, Vertrauens-, Liefer- oder Zahlungsfunktionen.

Plattformen in der Finanzindustrie – der Kampf um die Kundenschnittstelle

Wie die Plattform-Ökonomie funktioniert und sich neue Kundenzugänge anbieten, bestehende aber auch verschwinden, lässt sich zurzeit in der Finanzindustrie gut beobachten. Hier gibt es einen Wettlauf zwischen verschiedenen Akteuren um den Aufbau der branchenbeherrschenden Plattformen. Dabei haben wir auch die beschriebenen zwei Plattform-Arten: Banking-as-a-Service-(BaaS)-Plattformen ermöglichen nicht regulierten Unternehmen, selbst Finanzprodukte zu entwickeln, indem sie die dafür notwendigen, erlaubnispflichtigen Prozess- und Technologieelemente bieten. Sie verbinden aber nicht wie zweiseitige Plattformen Endkunden und Finanzproduktanbieter. Im Rennen um die führenden zweiseitigen Finanzplattformen sehen wir vor allem Großbanken und digitale Unternehmen. Zu letzteren gehören in erster Linie, aber nicht nur Fintechs und die GAFAs, die dabei sind, Finanzdienstleistungen in ihre Systeme zu integrieren, von Apple Pay bis zu Facebooks geplanter Weltwährung Libra.

Banking-as-a-Service-Plattformen

BaaS-Plattformen bieten Nicht-Banken die Möglichkeit, Finanzprodukte oder -services anzubieten, ohne dass sie die dafür notwendigen Lizenzen erwerben müssen. BaaS-Plattformen arbeiten ähnlich wie Software-as-a-Service-(SaaS-)Modelle, die über Software hinaus transaktionelle Geschäftsprozesse bieten, zum Beispiel Webshop-Anbieter, die in ihre Lösungen Zahlungsdienstleistungen oder Steuerservices integriert haben.

Die Rolle von Banking-Plattformen ist jedoch breiter als die von SaaS-Anbietern: Über die Technik hinaus bieten sie ihren Kunden die Bankenlizenz und das Regulierungsframework rund um Themen wie etwa Kundenlegitimierung (KYC), Geldwäscheverhinderung oder Kundeninformation. Je nach Fokus bieten die BaaS-Plattformen klassische Bankprodukte wie Konten, Depots, Zahlungsprozesse, Wertpapiertransaktionen oder Kreditprozesse an, zum Teil auch komplexere Dienstleistungen wie Vermögensverwaltungen. Nahezu jedes Fintech arbeitet im Hintergrund mit einem BaaS-Anbieter zusammen, um sein Geschäftsmodell umzusetzen, seien dies Robo-Advisors, Kreditmarktplätze, (Peer-to-Peer-) Payment-Anbieter, Zinsportale oder andere Startup-Geschäftsprozess-Elemente, die eine Banklizenz benötigen.

Aus Kundensicht sorgen BaaS-Plattformen dafür, dass Finanzfunktionen sich immer mehr in Lebenskontexte einbetten und sich bei Unternehmen immer tiefer in ihre Geschäftsprozesse integrieren. So können Konsumenten heute am digitalen Point of Sale sehr einfach Kredite in Anspruch nehmen, per Knopfdruck in Fonds investieren oder Geld einfach direkt an Freunde transferieren. Unternehmen sind in der Lage, Zahlungsfunktionen direkt mit der Erbringung von Leistungen, etwa Stromlieferungen, Maschinenaktivitäten oder Transporten, zu verbinden.

BaaS-Anbieter unterscheiden sich von „normalen“ Banken durch ihre technische Infrastruktur, die sie über Schnittstellen (APIs) für Partner öffnen, und regulative Adaptivität, um auch innovative Geschäftsmodelle innerhalb des gesteckten Regulierungsrahmens umzusetzen. Dabei ist die API als Pflicht, die regulative Adaptivität als Kür zu sehen. In den aktuellen Plattformdebatten wird gerne der Eindruck erweckt, als ob eine API eine Bank bereits zu einer Plattform macht – sie ist lediglich eine notwendige technische Voraussetzung, keinesfalls ein Plattform-hinreichendes Feature.

BaaS-Anbieter in Deutschland sind neben der Sutor Bank die Banken Solaris, Wirecard, Raisin oder Fidor.

Zweiseitige Banken-Plattformen

Zwei- oder mehrseitige Banken-Plattformen, die tatsächlich verschiedene Produzenten mit Konsumenten verbinden, gibt es so weder in Deutschland und in Reinform auch weltweit nicht. Am konsequentesten verfolgt hierzulande die Deutsche Bank diesen Ansatz. Mit ihrem Zinsmarkt, der vom Fintech-Partner Deposit Solutions bereitgestellt wird, bietet sie ihren eigenen Kunden an, Geld auch bei anderen Banken anzulegen. Inzwischen hat sie weitere Services integriert, zu denen auch sogenannte Beyond-Banking-Angebote gehören, etwa Buchhaltungsprogramme und andere Services, die keine originären Bankdienstleistungen oder -produkte sind.

Ähnlich geht die ING vor, die bereits mehrere Fintechs gekauft hat und in Deutschland mit der „Plattform-Kooperation“ Scalable Capital am Start ist. Scalable Capital bietet eine automatisierte Vermögensverwaltung an und ist als Dritt-Angebot in die Website der ING in Deutschland integriert. Mit dem schon älteren Zukauf Interhyp betreibt die ING eine eigene Plattform für Immobilien- und Baukredite.

Embryonal lässt sich der Plattform-Ansatz im Geschäftsmodell von N26 erkennen, und ähnlich in denen der Konkurrenten Revolut und Monzo. N26 konzentriert sich zurzeit darauf, mit dem kostenlosen Konto und überragender, mobiler Customer Experience Kunden weltweit zu akquirieren. Mit Millionen von legitimierten Kunden, über deren Finanzen man sehr gut Bescheid weiß, wird N26 für Finanzprodukt- und Beyond-Banking-Services-Anbieter in Zukunft eine potenziell attraktive Plattform, ähnlich wie dies Amazon für Händler ist, die von Amazons Reichweite profitieren.

Auch die GAFA-Plattformen sind nun aktiv geworden. Apple Pay hat sich zu einer der beliebtesten Zahlmethoden entwickelt, die Kreditkarte gehört in den USA inzwischen auch schon zum Finanzprodukt-Portfolio des Lifestyle-Tech-Unternehmens, und dass bald Konten und Kredite folgen könnten, ist keine abwegige Prognose. Facebook hat nicht nur die Finanzbranche durch den Plan verschreckt, mit der Kryptowährung Libra ein weltweites Zahlungs- oder sogar Geldsystem zu entwickeln. Auch Regierungen in vielen Ländern sind strikt gegen das Projekt, weil sie um die Plattform-Stärke von Facebook wissen und befürchten, dass dem Social-Tech mit rund drei Milliarden Kunden die Etablierung einer privaten Währung gelingen kann.

Die Vergleichsplattform Check24 geht noch einen Schritt weiter und wird künftig mit eigener Banklizenz neben den Produkten ihrer Partner auch eigene Produkte anbieten. Damit ist Check24 vielleicht auf dem Weg zu ersten wirklichen zweiseitigen Bankenplattform: Es gibt Millionen von Kunden auf der einen und viele etablierte Finanzproduktanbieter auf der anderen Seite. Schon heute bietet die Vergleichsplattform auch eigene Kredit- und Sparprodukte an, mangels Banklizenz jedoch mithilfe von White-Label-Banken. Auch mit einer eigenen Banklizenz möchte Check24 jedoch ähnlich dem Amazon-Händler-Ansatz weiterhin Partner der Banken bleiben, d.h. Check24 verkauft die eigenen Bankprodukte und lässt andere Banken mit den gleichen Produkten die eigene Plattform nutzen. Auch hier bringt die Banklizenz einen Mehrwert, weil die Zusammenarbeit unter gleich regulierten Häusern einfacher ist als Kooperationen zwischen Unternehmen mit unterschiedlichen Regulierungsanforderungen, etwa beim Umgang mit Identitätsdaten.

Plattform-Banking in der Praxis – Case Study Sutor Bank

Wie sieht nun der ideale Weg für Banken in die Plattform-Ökonomie aus? Der strategische Imperativ, alle Banken müssten eine Plattform werden, um zu überleben, ist unsinnig. Der richtige Ansatz heißt vielmehr: Welchen Wert kann das eigene Unternehmen zur Plattform-Ökonomie beitragen? Grundsätzlich gibt es dafür keine Standard-Strategie, der andere Banken einfach folgen können. Am Beispiel der Sutor Bank kann jedoch exemplarisch dargelegt werden, wie die Plattform-Strategie aus dem operativen Geschäft entstanden ist und konsequent weiterentwickelt wurde.

Die Sutor Bank ist mit rund 100 Mitarbeitern ein mittelständisches Haus, das historisch aus der Geldanlage kommt. Entstanden ist die Fintech- und Plattform-Strategie 2013 aus ersten digitalen Endkunden-Initiativen wie etwa einer hauseigenen Online-Vermögensverwaltung sowie gemeinsamen Projekten mit den Startups fairr.de, einem Online-Anbieter für ETF-basierte Riester- und Rürup-Sparpläne, sowie Deposit Solutions mit dem Zinsportal-Angebot Zinspilot. Aus diesen B2B-Projekten mit Partnern ging das neue Geschäftsmodell „Banking-as-a-Service“ hervor.

Seitdem wurden über zwei Dutzend Partner angedockt und in den „geregelten“ Bankbetrieb integriert. Über diese Kooperationen hat die Sutor Bank 200.000 neue Kunden gewonnen, die einen signifikanten, positiven Deckungsbeitrag liefern. Bislang vollständig mit eigenen Mitteln wachsend, steht die Bank damit ähnlich gut da wie (Neu-) Banken, die mit viel Venture-Capital-Geld ausgestattet oder sehr gut kapitalisiert sind.

Die Erkenntnis hier: Auch mittelständische Häuser sind in der Lage, erhebliche Wachstumspotenziale zu erschließen, wenn sie einen Strategie-Markt-Fit für Plattform-Märkte finden, der ihre Kompetenz und den Kundenbedarf zusammenbringt. Grundsätzlich werden im Umbruch die Karten neu gemischt und kleinere Banken können wie Startups Nischen besetzen, aus denen heraus sie in weitere Geschäftsfelder wachsen können. Die zweite Erkenntnis ist, dass auch evolutionäres Vorgehen zu beträchtlichem Wachstum führen kann. Der oft geforderte Strategie-„Big-Bang“ oder die disruptive Innovation sind nicht notwendig. Allerdings muss das evolutionäre Vorgehen als kontinuierlicher Prozess begriffen werden, der nicht zum Stillstand kommen darf.

Kundenzugang, Kundenbeziehungen und Kundenschnittstelle

Die Gefahr einer BaaS-Strategie liegt darin, dass man ähnlich wie bei der Beteiligung an einer zweiseitigen Plattform die Kundenschnittstelle verliert. Dies ist allerdings gerade bei Finanzdienstleistungen nur zum Teil richtig und für diesen Teil auch eventuell gar nicht so tragisch. Banken bleiben im BaaS-Modell aus Regulierungsgründen der Endkunden-Vertragspartner für die erlaubnispflichtigen Produkte oder Services. Sprich: Der Konten-, Depot- oder Kreditvertrag wird mit der Bank und nicht mit dem Plattform-Partner geschlossen; ein komplettes White-Labeling der Bank funktioniert nicht, deshalb nennt man sie auch B2B2C-Modelle. Das schafft Potenzial für den Aufbau eines starken „Embedded-Banking-Branding“.

Diese Strategie hat die Sutor Bank mit ihren Partnern konsequent umgesetzt. Nur in ganz wenigen Fällen wollen die Partner, dass der Name der Bank so weit wie möglich in den Hintergrund gedrängt wird. Denn sie erkennen, dass der Vertrauensfaktor, den eine 1921 gegründete Bank in die Kommunikation mit dem Kunden einbringen kann, ein Wert an sich ist, unabhängig vom Banklizenz-Mantel. Denn selbst Digital Natives stellen an Banken andere Anforderungen als an ihr Social Network oder ihren Streaming-Dienst. Deshalb ist ihnen nicht gleichgültig, wer beim Plattform-Banking die Finanzprozesse im Hintergrund ausführt.

 Diese Kundenbeziehungen sind gerade im Finanzdienstleistungsgeschäft besonders wertvoll. Denn der Kunde hat beim Eingehen der ersten Geschäftsbeziehung einen mehr oder weniger aufwendigen Onboarding-Prozess durchlaufen, der immer eine geldwäschekonforme Legitimierung, oft auch Geeignet- und Angemessenheitsprüfungen für das gewählte Finanzprodukt umfasst. Von einem auf der Banking-Plattform vollständig „ongeboardeten“ Kunden profitiert nicht nur die Bank, die ihm eventuell komplementäre Produkte anbieten kann, sondern das gesamte Öko-System der Partner, die Kunden bedienen können, ohne diese Prozesse erneut durchführen zu müssen.

Fazit: proaktiv Plattform-Strategie verfolgen

Die Plattform-Ökonomie und Plattform-Geschäftsmodelle lassen sich nicht aufhalten. Sie schaffen Kundenzugänge, sie blockieren Kundenzugänge. Sie verändern in jedem Fall die Kundenbeziehungen und versetzen die Kundenschnittstellen.

Das birgt für Unternehmen Gefahren, wenn sie sich der Herausforderungen der Plattform-Ökonomie nicht annehmen. Dies schafft aber auch neue Chancen, die etablierte Unternehmen nicht komplett den Startups überlassen müssen. Wer die Gesetzmäßigkeiten der Plattform-Ökonomie versteht und diese proaktiv in seine Strategie integriert, kann sich völlig neue Kundenzugänge verschaffen, auch wenn das eventuell heißt, dass er die Kundenschnittstelle verliert. Dies muss jedoch keine Katastrophe sein, wenn es gelingt, mittelbare Kundenschnittstellen zu schaffen. Eine starke Marke, verbunden mit starken, kundenorientierten Produkt- oder Service-Merkmalen, ist so eine mittelbare Kundenschnittstelle, die verhindert, dass ein Unternehmen auf einer Plattform zum austauschbaren Anbieter wird.