Vor der Finovate 2014: Der kambrische Moment der Next Finance

Fintech-basierende Geschäftsmodell-Innovationen vor dem Durchbruch Finovate Europe

Kurz bevor die Finovate Europe am Dienstag in London beginnt und wieder 72 Fintech-Innovationen von Startups, Technologie-Unternehmen und Banken im Sieben-Minuten-Takt präsentiert, lohnt sich ein Blick auf den Stand der Next-Finance-Dinge Anfang 2014.

Nebenrollen-Oscar für die Next Finance

Next Finance wären mit ihrer aktuellen Rolle im großen Epos der Welt-Digitalisierung im Rennen um den Oscar für die besten Nebendarsteller.  Einerseits spielen Next-Finance-Themen bei den großen Konferenzen, auf denen die digitale Zukunft verhandelt wird, keine ganz große Rolle. Während des digitalen Gipfeltreffens auf der DLD-Konferenz in München im Januar waren etwa Wearables, Internet der Dinge, Big Data in Verbindung mit Algorithmen und maschinelle Intelligenz die großen Themen. Die bewunderten Startups waren Firmen wie Whatsapp, Nest, Tumblr oder Waze. Über Next Finance wurde lediglich auf zwei Paneels zu Crowdfunding/Crowdlending/Crowdinvesting und zum Mobile Payment diskutiert. Auch auf der Agenda der South by Southwest (SXSW) in Austin, die im März die digitale Elite anzieht, stehen Next-Finance-Beiträge nicht auf ganz oben auf der Agenda.

Next Finance im frühen Mainstream

Andererseits drängt Next Finance auch in Deutschland in den „frühen“ Mainstream: Fast alle großen Wirtschaftszeitschriften und -zeitungen – Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Capital, Economist etc. – haben in den letzten Monaten große Next-Finance-Artikel publiziert. Allein im ersten Halbjahr 2014 sind fünf (mir bekannte) Next-Finance-Veranstaltungen in Deutschland angekündigt. Letztes Jahr fanden insgesamt nur vier statt, davon eine in der Schweiz.

Die Next-Finance- Darsteller: Startups,  Webunternehmen, Telcos, Banken

Die Liste der Next-Finance-Innovatoren in den Segmenten Asset Management, Lending, Payment werden länger und substanzieller (die Datenbank der Bankattacker von CoreTransform umfasst 227 internationale Unternehmen).

Startups als Next-Finance-Innovatoren

Die meisten  Innovatoren treten als Next-Finance-Startups auf (André M. Bajorat zählt und kategorisiert 67 deutsche Next-Finance-Startups). Darunter sind allerdings eine ganze Reihe, die von Großunternehmen finanziert, teilweise auch initiiert wurden. Die Otto-Tochter Yapital  rollte gerade eine Mobile-Payment-Lösung im Einzelhandel aus. Verlage wie Holtzbrinck oder die Neue Züricher Zeitung umgeben sich mit Startups, die zu ihrem Content-Angebot passen: Holtzbrinck ist mit Wikifolia im Social-Trading unterwegs, die NZZ unterhält gleich eine ganz Reihe Startups, die Kunden bei der Geldanlage beraten und unterstützen.

Venture-Capital-Firmen mit Next-Finance-Focus

Im Venture-Capital-Markt sind die ersten fokussierten Next-Finance-Finanzierer unterwegs: Die Schweizer Next Finance Generation Invest (NextGFi) hat eine Reihe von Startups im Portfolio, die sich um das Thema Social Trading gruppieren; ayondo etwa, bei denen Anleger die Strategien erfolgreicher Investoren kopieren können oder Stockpulse, die investorenrelevante Signale aus der Social-Media-Kommunikation herausfiltern.  NextGFi hat gerade 5,5 Millionen CHF frisches Kapital vom Singapurer Fonds Luminor Capital erhalten. Auch Rocket Internet, die Startup-Maschine der Samwers-Brüder, hat inzwischen mit der Peer-to-Peer-Lending-Plattform lendico ihr erstes Next-Finance-Unternehmen ins Rennen geschickt.

 Die Big-Webs in der Next-Finance-Arena

Zu den aktivsten Next-Finance-Investoren gehören auch die bekannten Webgiganten, die sich hauptsächlich im (mobilen) Payment-Segment tummeln. Apple, Amazon, Facebook und Google verfügen bereits über etablierte Zahlungsbeziehungen zu Millionen von Kunden und können diese einfach weiter ausbauen. Google hat mit Google Wallet bereits eine eigene Lösung. Apple soll daran arbeiten, Payment-Funktionen in die nächste iOS-Version zu integrieren. Ganz vorne mischt hier natürlich Paypal, die Mutter aller Web-Payment-Unternehmen, mit. Sie adressiert aus diesem Segment heraus strategisch den Gesamtmarkt Next Finance  (Wieso PayPal jetzt alle Finanz-Sektoren erobern will?).

Banken in der Next-Finance-Defensive

Nur vereinzelt im Next-Finance-Rennen mit dabei: Banken. Die Vorzeige-Next-Finance-Bank in Deutschland ist immer noch die Fidor Bank mit ihrem Social-Media-Ansatz. Die Volksbank Bühl hat einen eigene lokale Crowdfunding-Plattform ins Leben  gerufen. Credit Agricole gehört mit ihrem Blog ohnehin zu den Next-Finance-Vordenkern unter den Banken. Die Hamburger Privatbank Sutor Bank hat erste Ansätze einer Online-Vermögensberatung in Verbindung mit einer standardisierten Vermögensverwaltung entwickelt. Die Sutor Bank fährt darüber hinaus, wie einige andere Banken auch, die Strategie, sich als Startup-Backbone zu positionieren. Sie übernimmt für die Neugründungen im Umfeld Asset-Management und Kapitalmarktsparen sämtliche Backoffice-Funktionen sowie alle Dienstleistungen und Transaktionen, die eine Banken-Volllizenz voraussetzen. Sie räumt damit die höchsten Marktzugangshürden für junge Next-Finance-Startups aus dem Weg.

Der kambrische Moment der Next Finance – explodierende Artenvielfalt

Next Finance erleben gerade ihren „kambrischen Moment“, wie der Economist kürzlich das digitale Heute insgesamt in Anlehnung an die evolutionäre Artenexplosion im Kambrium beschrieb. Noch hat sich die Welt des Bezahlens, Sparens, Investierens und Geldleihens für die meisten von uns weit weniger verändert als soziales Interagieren, Kommunizieren, Einkaufen, Musik hören, Filme schauen, Bücher lesen, Navigieren etc.

Strenge Regulierungen, die sich auch noch in jedem Land anders darstellen, haben den Finanzmarkt und damit die Banken bisher vor der digitalen Umwälzung, die in anderen Branchen kaum einen Stein auf dem anderen gelassen hat, geschützt.

In den nächsten fünf Jahren wird sich dies ändern, am drastischsten wahrscheinlich beim Bezahlen, das sich zu einem vollständig im Hintergrund ablaufenden Prozess entwickeln wird (ob das so gut ist, sei mal dahin gestellt). Sparen, Investieren und Finanzberatung werden mit anderen, faireren Geschäftsmodellen unterlegt, mit drastischen Folgen für die Umsätze von Banken und Finanzdienstleistern. Selbst wenn etwa die provisionsbasierende Beratung oder undurchsichtige Kostenmodelle von Finanzprodukten nicht wegreguliert werden, wird es Next-Finance-Innovatoren geben, die mit Technik genau an diesen Stellen die Wertschöpfungsketten knacken und Kunden bessere Angebote unterbreiten – der Markt wird es entscheiden.

Diese Entwicklung wird nicht ohne die Banken ablaufen, aber weder alleine bei ihnen, noch getrieben von ihnen. Die „Arbeitsteilung“ und damit auch die Umsatzverteilung der Branche werden sich stark und nachhaltig verändern. Und das wird, wie in allen anderen bisher digitalisierten Branchen auch, gut für die Kunden, ungemütlich für die etablierten Anbieter werde.

 

 

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