Vor drei Jahren hat die Sutor Bank gemeinsam mit einer eMobility-Plattform und einem Berliner Startup einen der ersten Stablecoins entwickelt, mit dem Elektroautobesitzer Strom an privaten Ladesäulen bezahlen konnten. Das Projekt war damals in mehrfacher Hinsicht seiner Zeit voraus.
Jetzt hat Facebook sein Whitepaper und eine Reihe weiterer Informationen über seinen Stablecoin Libra veröffentlicht: Nun scheint die Zeit für einen massentauglichen Stablecoin gekommen zu sein.
Mit dem Token, dessen Wert an einen Währungskorb gebunden wird, sollen die 2,4 Milliarden Nutzer der Facebook-Plattformen – neben Facebook selbst auch WhatsApp und Instagram – sich gegenseitig Zahlungen zukommen lassen können. Gelingt es Facebook nach der Revolutionierung der privaten und öffentlichen Kommunikation nun auch, das globale Geldsystem zu revolutionieren?
Stablecoins: Crypto-Token mit stabilem Referenzwert
Stablecoins basieren ähnlich den bekannten großen Crypto-Währungen wie Bitcoin auf der Blockchain-Technologie. Wie der Name nahelegt, sind sie an reale Währungswerte gekoppelt, an den Euro, an den Dollar oder etwa an Gold. Ein Stablecoin bietet also viele – allerdings längst nicht alle – Vorteile einer originären Crypto-Währung, ohne den Nachteil der wild schwankenden Werte, für die Bitcoin und Konsorten bekannt sind. Die an stabile(re) Referenzen gekoppelten Token gelten als Schlüssel für die breite Anwendung Blockchain-basierender Zahlungen in verschiedenen Kontexten wie Handel, Logistik oder Industrie, wo sie etwa Machine-to-Machine-Payments ermöglichen sollen. Denn sowohl Menschen als auch Unternehmen können mit Zahlungsmitteln, deren Wert stark schwankt, nichts anfangen.
Es gib zwar auch heute schon Stablecoins, etwa den an den Dollar gebundenen Tether, und den „Stablecoin-Baukasten“ DAI, aber sie haben aus Technologie-, Vertrauens- und Regulierungsgründen noch nicht den Weg aus der Crypto-Nische herausgefunden.
Das Facebook-Libra-Projekt ist deshalb in Größe, Anspruch und Erfolgswahrscheinlichkeit wegweisend und verdient eine Betrachtung aus mehreren Perspektiven
Starkes Konsortium für eine Internet-Währung mit Massenanspruch
Der Libra ist der erste Ansatz einer weltweit aktiven Plattform, gemeinsam mit einer ganzen Reihe von weiteren starken Partnern mit einem Massenkundengeschäft – darunter auch einige, die das Facebook-Vorhaben direkt angreift, wie Visa, Mastercard oder Paypal – eine Crypto-Währung mit globalem Massenanspruch zu kreieren. Der Twitter- und Square-Gründer CEO Jack Dorsey hat erst gerade wieder gefordert, dass das Internet eine eigene internationale Währung bräuchte. Der Facebook-Token könnte der Nukleus dafür sein (wenn Dorsey auch Bitcoin als Internet-Weltwährung bevorzugt).
Um Stablecoins weltweit zu skalieren, müssen die Betreiber erstens die Mittel haben, um den Wert der kursierenden Coins mit den „echten“ Referenzwerten zu hinterlegen, und zweitens das Vertrauen der Nutzer genießen, dass genau dies der Fall ist. Das Konsortium, das Facebook gebildet hat, bringt beides mit.
Der Libra für die finanzielle Inklusion
In vielen Entwicklungsländern haben in der Bevölkerung mehr Menschen einen Facebook-Account als ein Bankkonto. Darüber hinaus sind sie den Kapriolen ihrer Währungen ausgeliefert. Facebook kann ihnen erstmals Zugang zu einem stabilen Zahlungssystem inklusive einer stabilen Währung verschaffen. Gerade für diese Nutzer spielt auch der Transfer von Geld aus dem Ausland, wohin sie des Verdienstes wegen auswandern, zu ihren Familien eine große Rolle. Der Libra kann den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr drastisch vereinfachen und verbilligen.
Erfolgsfaktor Masseninfrastruktur
Die weltweite Durchdringung von Facebook, WhatsApp und Instagram in Verbindung mit dem künftig integrierten Wallet namens Calibra macht den Libra auf einen Schlag für Milliarden Menschen zumindest theoretisch sofort verfüg- und akzeptierbar. Zwar ist die Libra-Blockchain eine sogenannte „permissioned blockchain“ – das bedeutet, dass die Netzwerkknoten, die die vollständige Blockchain vorhalten und die die Transaktionen validieren, zunächst nur von zugelassenen Akteuren betrieben werden dürfen –, allerdings sind beispielsweise Source Code oder Schnittstellen offen gelegt, damit Entwickler Anwendungen für die Blockchain entwickeln können. Auch das Calibra-Wallet kann unabhängig von den Facebook-Plattformen eingesetzt werden.
Hürde Aufsichtsrecht
Die aufsichtsrechtliche Komplexität ist sicher auch eine der größten Hürden, die vor einem Erfolg zu nehmen sind. Jeder, der sich schon einmal mit den (aufsichts-) rechtlichen Themen rund um Crypto-Währungen befasst hat, weiß, dass schon die Umsetzung nationaler Projekte zu einem Großteil aus „juristisch-regulativer Arbeit“ besteht, in einem internationalen Umfeld potenzieren sich dann die Fragestellungen: Wie müssen Nutzer identifiziert werden, welche Anti-Geldwäsche-Pflichten müssen eingehalten werden, welche Steuervorschriften gelten, was ist der Token überhaupt, ein Zahlungsinstrument, ein Security Token, was jeweils unterschiedliche Regulierungsvorschriften nach sich zieht.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Facebook-Konsortium zwar wichtige Akteure des globalen Finanzsystems dabei sind, aber keine Banken. Das kann damit zu tun haben, dass das gesamte Libra-Setup ihnen am meisten „weh“ tut, aber auch damit, dass sie die aufsichtsrechtlichen Komplikationen scheuen, die durch eine Mitgliedschaft im Konsortium entstehen können.
Staatlicher Widerstand
Schon heute gibt es von Staat zu Staat unterschiedliche Regelungen für Crypto-Währungen. Nun kommt hinzu , dass gerade die Staaten, für deren Bürger der Libra am interessantesten sein könnte, etwa in der inflationsgeplagten Türkei, am wenigsten Interesse daran haben, dass eine leicht zugängliche Parallelwährung entsteht, die sich durch die staatliche Geldpolitik nicht beeinflussen lässt. Mit zusätzlichen gesetzlichen Widerständen muss daher in vielen Ländern gerechnet werden, die etwas gegen eine breite Kapitalflucht in den Libra haben.
Möchte man Facebook auch noch Zahlungsdaten anvertrauen?
Eine der größten Hürden für den Libra-Erfolg wird Facebook selbst sein. Es gibt wenig Zweifel daran, dass Facebook es schaffen wird, technisch das Libra-System aufzubauen. Aber zumindest in den entwickelten Ländern schlägt Facebook schon ohne eigene Währung ein großes Maß an Misstrauen entgegen: Wegen seiner Mächtigkeit an sich, wegen des gewöhnlichen Umgangs mit Daten, die an die Werbeindustrie verkauft werden und wegen der zahlreichen Datenskandale, die sich die Social-Media-Plattform bereits geleistet hat. Die Verbindung der bereits auf den Plattformen kursierenden Daten mit den dann verfügbaren weltweiten Zahlungsdaten sorgt schon jetzt für dystopische Befürchtungen, was Facebook mit dem Wissen, das aus der Vernetzung der Daten entsteht, wohl anstellen wird, auch wenn im Whitepaper ausdrücklich betont wird, dass Finanz- und Personendaten getrennt voneinander gehalten werden.
Ein multizentrales Crypto-Netzwerk in privater Hand statt eines offenen, dezentralen Zahlungsprotokolls
Das Facebook-Konzept entspricht nicht dem, was die Crypto-Community mit der Erfindung des Bitcoins eigentlich erreichen wollte: Ein dezentrales Zahlungssystem, das ohne Staat und zentrale Kontrolle auskommt, für das jeder, der es technisch versteht, Anwendungen entwickeln kann. Zwar sorgt auch Facebook für ein gewisses Maß an Dezentralität, weil es den Betrieb der Netzwerkknoten an die Partner im Konsortium „verkauft“, die dadurch ebenfalls Zugriff auf die Daten erhalten. Aber im Endergebnis wird man ein multizentrales Währungsnetzwerk in der Hand eines Konsortiums kommerzieller Privatunternehmen haben. Das ist nicht exakt das, was der oder die Bitcoin-Schöpfer und ihre Apologeten im Sinn hatten.
Ganz gleich, ob der Libra ein Erfolg wird oder nicht, wird es wahrscheinlich eine Reihe von positiven Nebeneffekten geben, die die Akzeptanz von Crypto-Währungen im Allgemeinen und die Entwicklung von Stablecoins im Besonderen vorantreiben werden.
Crypto-Massenadoption
Mittelfristig werden Milliarden Menschen zum ersten Mal mit Crypto-Währungen in Berührung kommen und sehen, dass es sich nicht um nur geheimnisvolle, risikoreiche Zahlungsmethoden aus den dunklen Untiefen des Internets handelt. Deshalb ist damit zu rechnen, dass nach einer angemessenen Lernkurven-Zeit viele Menschen weltweit auch auf das „Original“ Bitcoin zugreifen wollen, statt nur mit den Facebook-eigenen Token zu hantieren.
Blaupause für skalierbare Stablecoins
Der Entwicklung von Stablecoins, die auch in anderen Anwendungsfällen einen großen Nutzen haben könnten, werden ebenfalls einen Auftrieb erhalten; einfach indem Facebook zeigt, wie es im großen Maßstab funktioniert und welcher Nutzen sich daraus ziehen lässt.
Regulierungstreiber
Auch die generelle Regulierung von Crypto-Währungen sollten vom Facebook-Projekt profitieren. Die Plattform hat das Geld und den Einfluss, dass Staaten sich nur des Libras wegen stärker mit der Regulierung von Zahlungstoken beschäftigen und ihren Gebrauch schneller auf einen aufsichtsrechtlich festen Boden stellen werden.
Die Umrisse der Blockchain-Revolution
Insgesamt lässt Facebooks Libra die Umrisse der bisher nur prophezeiten Blockchain-Revolution des Bankings erkennen. Erstmals erscheint die reale Möglichkeit, dass ein Banken- und Staaten- unabhängiges Zahlungssystem entsteht, nicht wirklich dezentral, nicht wirklich unabhängig „Open Source“, aber immerhin.