Das Kryptoversum expandiert – und ordnet sich

Am 3. Januar 2009 betrat der Bitcoin die Bühne. Dieser erste blieb eine Weile der einzige seiner Art und es dauerte ein wenig, bis weitere Arten entstanden. Namecoin, Litecoin, Peercoin kamen (und gingen), um 2014 entstand Ethereum. Spätestens hier beschleunigte sich das Geschehen. Immer neue Coins entstanden, geschaffen für immer neue Ideen, Funktionen und mit immer neuen, mehr oder weniger nachvollziehbaren Anwendungsgebieten. Neben den bekannten Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether gab es im März 2022 laut Statista rund 10.500 verschiedene Altcoins, wie alle Kryptowerte genannt werden, die nach dem Bitcoin entwickelt wurden. Im August 2021 waren es noch rund 5.800, seither kam es also zu einem Anstieg um mehr als 80 Prozent. Eine Artenexplosion, die nach Ordnung verlangt.

Nur in wenigen Fällen werden Kryptowerte als Zahlungsmittel oder Wertaufbewahrungsinstrumente gebaut, sie dienen den unterschiedlichsten Zwecken:

  • Sie treiben Smart Contracts
  • Sie verleihen Rechte, um Blockchain-Ökosysteme zu lenken
  • Sie verschaffen Zugang zu Gemeinschaften
  • Sie treiben Defi-Prozesse
  • Sie sind Basis für Web3-Anwendungen
  • Sie repräsentieren den Wert von Fiat-Währungen
  • Sie repräsentieren Anteile an Sachwerten
  • Sie sind Währungen in Spielewelten und Metaversen

Selbst versierte Investoren können da die Übersicht verlieren. Deshalb kümmern sich inzwischen eine ganze Reihe von Analyse-Unternehmen um die Kategorisierung von Coins und Token, erleichtern Investoren die Analyse, die Auswahl von Anlagezielen und den Aufbau von diversifizierten Kryptowerte-Portfolios. Und katalogisieren wie alle Forscher zunächst einmal die gefundenen Arten und ordnen sie dann zu Stammbäumen und Evolutionsschritten.

Der Index-Anbieter MVIS etwa kategorisiert die Kryptowerte in acht Kategorien: Zahlungen, Smart-Contract-Plattformen, Exchanges, Decentraliced Finance, Media & Entertainment, Wertspeicher (Store of Value), Infrastruktur-Applikationen und Stablecoins.

Eine etwas detailliertere Kategorisierung bietet der US-Analysedienst Messari. Hier werden die Kryptowerte nach Defi, Smart Contract Platforms, Currencies, Stablecoins, Exchange Token, Web3, Privacy Coins, Interoperabilität, Decentralized Exchanges, Lending, Derivates, Asset Management, File Storage und Gaming kategorisiert.

Noch komplexer ist das Standardisierungsframework, mit dem die International Standardisation Association versucht, Ordnung in die Digital-Asset-Vielfalt zu bringen.

So entstehen vielfältige Stammbäume der Krypto-Arten, die auch manch irre Blüten treiben. So sind die vielfältigen Meme-Coins, Shit-Coins oder Spaß-Währungen kaum zu erfassen. Und spielen für langfristige Investoren auch keine Rolle.

Denn auch wenn die Kategorisierungen vordergründing für Investoren geschaffen werden:  Sie zeigen eindrucksvoll die Arten- und Funktionsvielfalt der Kryptowerte und damit die Reife dezentraler Technologien, die keineswegs auf die bekannten Anwendungsfälle von Bitcoin als Wertaufbewahrung und Ethereum als Smart-Contract-Plattform beschränkt sind. Die Blockchain-Technologie fräst sich in die verschiedensten Wirtschaftsbereiche, um dort Wertetransfers zu erleichtern oder erst zu ermöglichen.

Die Arten-Explosion zeigt, dass die evolutionäre Kraft der Blockchain-Technologie gerade erst voll zum Tragen kommt. So finden sich unter den 10.500 Kryptowerten heute womöglich Arten, die bereits realere Werte produzieren oder repräsentieren als manche Coins und Token der Top50. Realere, anfassbarere Anwendungen auch, die vor allem eines zeigen: Die „Blockchainisierung“ der gesamten Wirtschaft hat gerade erst begonnen. Die „Digitalisierung der Werte“ geht nicht weg, sondern gewinnt gerade an Fahrt. Nicht nur Banken oder Finanzunternehmen müssen sich hiermit beschäftigen, sondern alle Akteure des Wirtschaftssystems. Die Stammbäume der Kryptoarten sind dabei eine hilfreiche Standortbestimmung. Aber klar ist: diese Stämme werden sich noch viel weiter verästeln, das Wachstum hat gerade erst begonnen.

Suche nach nachhaltigen Kryptowährungen

Der Bitcoin stand kürzlich wegen seines hohen Stromverbrauchs kurz vor einem Verbot in der EU. Das Verbot ist nicht gekommen, aber die Diskussion um Kryptowährungen, die mit dem energiehungrigen Proof-of-Work arbeiten, wird bleiben. Dabei arbeiten heute schon die wenigsten der Top-50-Kryptowährungen mit diesem Konsensmechanismus. Doch mit Bitcoin und Ether basieren die beiden größten Währungen auf diesem Verfahren, sie stellen zwischen 65 und 70 Prozent der Marktkapitalisierung.

Von den 50 Kryptowährungen mit der höchsten Marktkapitalisierung handelt es sich bei 33 um native Coins mit eigener Blockhain. Sieben davon arbeiten mit dem energiehungrigen Proof-of-Work-Verfahren (PoW), 21 nutzen Proof-of-Stake-Ansätze (PoS), fünf verwenden andere Mechanismen. Dazu kommen 15 Währungen, die als ERC20-Token auf der Ethereum-Blockchain aufbauen und so mittelbar auch den Proof-of-Work nutzen. Unter den Top-10 nutzen nur zwei Proof-of-Work. Dabei handelt es sich aber um Bitcoin und Ether, die beiden größten Währungen, die zusammen für rund zwei Drittel der gesamten Marktkapitalisierung stehen.

Diskussion um Energieverbrauch bleibt

Derzeit arbeitet die EU an der Regulierung des Kryptobereichs, der „Markets in Crypto-Assets Regulation“ oder kurz MiCA. Neben vielen anderen Themen wurde im zuständigen Ausschuss auch ein Entwurf diskutiert, der ein Quasi-Verbot von Kryptowährungen, deren Konsensmechanismus auf dem Proof-of-Work basiert, bedeutet hätte. In der entscheidenden Abstimmung wurde der Passus herausgenommen. Aber die Diskussion über Energieverbrauch bleibt.

Denn je nach Quelle verbraucht etwa Bitcoin auf Jahresbasis rund 204,5 TWh Strom (Bitcoin Energy Consumption Index, Digiconomist), Ether rund 112,14 TWh (Ethereum Energy Consumption Index, Digiconomist). Der Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index schätzt den annualisierten Verbrauch auf zwischen 52,84 TWh und 339,09 TwH, am wahrscheinlichsten um die 137,67 TWh. Zum Vergleich: Die Digiconomist-Werte entsprechen ungefähr der Produktionsmenge aller französischen Atomkraftwerke, der Bruttostromverbrauch in Deutschland lag 2021 bei 565 TWh.

Konsensmechanismen

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