Blockchain digitalisiert Vertrauensinfrastruktur

Nach dem Werteverfall aller Kryptowährungen und den Krypto-Crashes in den vergangenen Monaten hat sich die fachliche und weniger fachliche öffentliche Debatte an der Frage abgearbeitet: Ist das der Kryptotod oder nur ein weiterer saisonaler Kryptowinter?

Kryptos sind offensichtlich, was man geglaubt oder gehofft hatte, was sie seien – das haben die letzten Wochen gezeigt: Sie sind kein Hedge gegen Aktien. Kryptos und Aktien, vor allem Tech-Aktien sind im Gleichschritt gefallen. Auch als Inflationsschutz haben Kryptos bisher versagt. Sie haben weit mehr an Wert verloren als reguläre Währungen. Das Narrativ von Kryptos als digitales Geld war schon vor der aktuellen Krise brüchig geworden.

Zwei Hauptargumente pro Kryptos

Zwei Argumente werden von den „Krypto-Jüngern“ immer pro Krypto angeführt: Der Bitcoin mag inhärent nichts wert sein, aber die Blockchain-Technologie hat einen Wert, der sich früher oder später durchsetzen wird. Dem entgegnen die Skeptiker, dass es die Blockchain nun seit 14 Jahren gibt und es trotz vieler Millionen investierter VC-Gelder bisher keinen überzeugenden Use Case mit einer nachhaltigen Monetarisierung gebe – wann soll dieser also kommen?

Das zweite Argument lautet, dass Kryptowährungen immer wieder starke Einbrüche gefolgt von längeren Kryptowintern erlebt hätten. Nach einiger Zeit seien die Preise für Kryptowerte immer wieder über ihre Vorkrisen-Werte hinweg gestiegen. Dieses Argument lässt sich empirisch tatsächlich gut belegen. Und es scheint auch klar, dass im Abstieg wie jetzt die Skeptiker die diskursive Vorherrschaft gewinnen, während im Aufstieg eher die „Jünger“ mit ihren Argumenten die öffentliche Meinung bestimmen.

Was treibt Kryptokurse an?

Es bleibt also die Frage, was die Kryptokurse nach jeder Krise wieder nach oben getrieben hat, ob dies in dieser Krise ebenso sein wird und wenn ja, ob dies den jetzt investierten Buy-and-Hold-Anlegern nutzt.

Fakt ist: Bei der Entwicklung von Kryptowerten mischen sich die Gesetze des Kapitalmarkts und der Technologie-Adaption und nicht immer ist ganz klar, welche Kraft gerade die wirksamere ist. Kapitalmarktbewegungen lassen sich mit makroökonomischen und unternehmensindividuellen Entwicklungen erklären. Technologie-Adaption lässt sich mit Hype-Zyklen beschreiben. Demnach wecken neue Technologien überhöhte Erwartungen, die zwangsläufig enttäuscht werden, was ins Tal der Ernüchterung führt, um dann das Plateau der Produktivität zu erklimmen.

Bei Kryptowerten haben wir jetzt bereits mehrere Zyklen gesehen, was unter anderem daran liegt, dass Krypto oder Blockchain aus einer Vielzahl von Technologie-Ansätzen mit unterschiedlichen Anwendungen bestehen, die zu verschiedenen Zeiten „hypen“. Was unter anderem daran zu beobachten ist, dass wir immer neue Krypto-Anwendungen im Hype-Aufstieg beobachten konnten: ICOs, Smart Contracts, DAOs, DeFi, NFT etc. Inzwischen hat die Beratungsfirma Gartner eine eigene Krypto-Hype-Cycle-Version aufgelegt, auf der man den Status der Krypto-Anwendungsfälle und -Technologie tracken kann.

Einbruch eher kapitalmarktgetrieben

Es ist wahrscheinlich unstrittig, dass der aktuelle Krypto-Einbruch eher ein Kapitalmarkt-getriebener Crash ist und weniger durch technologische Enttäuschung entstanden ist. Kryptowerte sind wie alle Risiko-Assets, zu denen auch Aktien und insbesondere Tech-Aktien gehören, durch die makroökonomischen Entwicklungen in die Tiefe gefallen. Die Entwicklung bei den Kryptowerten ist eventuell davon verstärkt worden, dass einige zentrale Anwendungsfälle nach dem Gartner-Hype-Cycle gerade auf dem Weg ins Tal der Ernüchterung sind, darunter etwa Tokenisierung, DeFi und Smart Contracts.

Die gute Nachricht dabei ist, dass die fortschreitende Adaption der Technologie die Werte auch wieder steigen lassen wird, wenn sie das Plateau der Produktivität erreichen. Um das Potenzial des „Rebounds“ auf High-Level abschätzen zu können, lohnt es sich, die zwei zentralen, eng zusammenhängenden Errungenschaften, die die Blockchain-Technologie in die Welt gesetzt hat, zu betrachten: die Digitalisierung von Wert und Vertrauen – wobei die Digitalisierung von Wert auf der Digitalisierung von Vertrauen basiert.

Potenzial: Vertrauen blockchainisieren

Nach einer Studie der RMIT University (The Cost of Trust – a Pilotstudy; The Journal of the British Blockchain Association, December 2018) waren 2010 35 Prozent der Personalkosten durch Arbeiten an und in der Vertrauensinfrastruktur verursacht, im Finanzsektor sogar 45 Prozent. Vertrauen ist hier im technokratisch-institutionellen Sinne gemeint, wie es etwa von Gerichten, Notaren, Prüfern, Banken oder Börsen „produziert“ wird. Blockchains möchten nicht gesellschaftliches oder individuelles Vertrauen ersetzen. Blockchains ersetzen Vertrauen dort, wo bisher viel Aufwand betrieben wird, damit Akteure, die sich nicht „natürlich“ vertrauen, miteinander interagieren können, wie dies für viele Geschäftsprozesse notwendig ist.

Damit ist ein maximales Potenzial gekennzeichnet, das mit der Blockchain-Technologie zu heben ist (eine Art Äquivalent zum Total Available Market). Klar ist, dass es weder wünschenswert noch machbar ist, die gesamte Vertrauensinfrastruktur zu blockchainisieren – denn in vielen Fällen möchte man nicht, dass etwa „stumpf“ ein Smart Contract exekutiert wird. Aber es gibt unzählige Vertrauensprozesse, die sich digitalisieren und automatisieren lassen. Ein Blick auf den Kapitalmarkt und den Aufwand, der dort getrieben wird, um Gegenparteirisiken – im Grunde Vertrauensrisiken – auszuschalten, gibt eine Ahnung von der Art der gemeinten „Vertrauensanwendungsfälle“ und den durch die Vertrauensdigitalisierung einzusparenden Ressourcen.

Im Artikel zur Veröffentlichung des Hype-Cycle für Blockchain und Web3 stellt Gartner fest, dass auch aus ihrer Sicht die „Killer-App“ für die Blockchain bisher fehlt, gibt aber Hinweise wie und wo sie entstehen könnte: nämlich durch die Kombination mit anderen Technologie-Ansätzen wie KI, IoT oder Web3. In diesen Technologieverbünden hat die Blockchain dann die Aufgabe, Vertrauensprozesse in Form von Smart Contracts oder die digitale Verwaltung von geschafften Werten zu übernehmen.

Frage bleibt, welche Kryptowährungen profitieren werden

Die schlechte Nachricht ist, dass wir zwar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit prognostizieren können, dass die Blockchain-Technologie und mit ihr die damit zusammenhängenden Kryptowährungen wieder an Wert gewinnen werden, wir aber nicht wissen, ob dies speziell für Bitcoin oder Ether gilt, wo die meisten Anleger investiert sind. Dies hängt stark davon ab, ob der Bitcoin sich als Wertverwahrungssystem und/oder zentralbankunabhängiges Geld bewährt und ob sich Ethereum zu einer Plattform für massentaugliche dezentrale Anwendungen entwickelt.